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Die Spießer früher – und die Neo-Spießer heute

Der Spießbürger, abgekürzt auch Spießer genannt, ist ein unangenehmer Zeitgenosse. So war es früher, so ist es heute wieder. Aber wie kommt das?

Aber erst einmal ein kurzer Rückblick: Ganz früher, im Mittelalter, mussten die Bürger ihre Heimatstadt mit Spießen verteidigen. Die Stadttore waren bei Tag und Nacht mit Posten besetzt, um die Stadt vor Räubern und anderem Gesindel zu schützen. Fremde Personen wurden genau kontrolliert. Wer genug Geld hatte, konnte sich von diesem Dienst freikaufen, so dass vorwiegend die ärmeren Bürger mit einem Spieß die Tore bewachten – so wurden die Kleinbürger dann auch Spießbürger genannt. Im Lauf der Zeit wurde der zunächst positiv verstandene Begriff immer abwertender gebraucht …

Der Spießer vor einem halben Jahrhundert

Als vor 50 Jahren die damalige Jugend gegen den „Muff von tausend Jahren“ revoltiert hat, revoltierte sie gleichzeitig gegen die damals vorherrschende Ordentlichkeit, den Zwang zur opportunistischter Konformität, gegen Dünkel und Besserwisserei.

Das Bild des Spießers war damals geprägt von einem Personentypus, der entweder auf dem Land oder in einem überschaubaren Stadtviertel lebte, der genau Bescheid wusste, was die Nachbarn so treiben, der engstirnig und intolerant gegenüber Abweichlern war, der sich besserwisserisch und belehrend aufspielte und der allen Menschen in seinem Umfeld mit seinem autoritären Gehabe auf den Geist ging.

Die typischen Symbole des spießbürgerlichen Daseins damals war die vor allem in Baden-Württemberg berüchtigte Kehrwoche, bundesweit galten Gärten mit Jägerzaun und Gartenzwergen als spießig, ebenso die Spitzendeckchen und Kissen auf dem Sofa mit einem Knick. Nicht zu vergessen die umhäkelte Klopapierrolle auf der Hutablage des Autos (das natürlich jeden Samstag pikkobello geputzt wurde) sowie öffentliche Rasenflächen mit dem Schild davor: „Betreten verboten“.

Das pingelige Einhalten von Vorschriften und konformistischem Verhalten und vor allem das Beobachten der Umgebung, ob diese ebenfalls Vorschriften und konformistisches Verhalten beachten, das machte den spießbürgerlichen Charakter perfekt.

Die Rückkehr des Spießers: als Neo-Spießer!

Die Alt-68er haben dem Spießbürger von damals den Garaus gemacht. Bis auf einige Restexemplare ist der altdeutsche Spießbürger ausgestorben. Aber keine Bange: Jetzt haben wir die Neo-Spießer hier im Land!

Während frühere Spießer hauptsächlich schauen konnten, wer im Dorf oder im Stadtviertel nicht den konformistischen Regeln entsprochen hat, haben sich dem Neo-Spießer dank Internet und Social Media ganz neue Welten eröffnet!

Nun kann der Neo-Spießer*** bequem vom Schreibtisch oder vom Sofa aus „seine Welt“ kontrollieren und sofort (der Blockwart lässt grüßen) Meldung machen, wenn jemand etwas sagt oder schreibt, mit dem er nicht einverstanden ist und das ihn empört.

*** Anmerkung: auf Wortformen wie Neo-Spießerin oder gar Neo-Spießer*innen wollen wir nicht zurückgreifen, da wir davon ausgehen, dass gebildete Menschen die Funktion des generischen Maskulinums verstanden haben, zudem gehen wir davon aus, dass die meisten Leser hier zu den 80 Prozent gehören, die eine Genderisierung der Sprache sowieso ablehnen.

Der Engstirnigkeit der Neo-Spießer ist damit Tür und Tor geöffnet! Die Intoleranz der vermeintlich bunten und toleranten Aktivisten kennt keine Grenzen mehr. Wer von der offiziellen Regierungs- und Aktivistenmeinung abweicht, wird besserwisserisch und belehrend ins Abseits gestellt – zur Not reicht der Hinweis auf rechtsextreme Ansichten und die Nazi-Keule, um Abweichler gefügig zu machen, weil sie sonst aus dem Diskurs ausgegrenzt werden. Mit denen redet man schon gar nicht mehr, denn nur die eigene Meinung ist die einzig richtige!

Für die Nicht-Aktivisten und Normalbürger heißt das: schnell fahren, SUV fahren oder in Urlaub fliegen geht gar nicht (mit Ausnahme wer die Grünen wählt: dieser Teil der Bevölkerung darf das). Auch Fleischgenuss (womöglich sogar vom Holzkohlegrill!) wird kritisch kommentiert. Und ein Eigenheim ist inzwischen auch schon verbotsverdächtig.

Aber das ist nicht alles: die Sprachpolizei ist unterwegs! Wer nicht gendert und damit nicht alle Individuen in ihrem jeweiligen Kollektiv adressiert, ist inzwischen ganz ganz böse! Und wer gegenüber einem LGBTQ-Aktivisten die falsche Anrede oder das falsche Pronomen verwendet, wird als intolerant und rückständig angesehen. Da wäre die Frage, wer hier intolerant ist …

War das Kleinbürgertum früher geprägt von Jägerzaun, Gartenzwerg und Kehrwoche, so gehören heute zu den typischen Symbolen des Neo-Spießertums die Vielzahl der Bio-Produkte, das Lastenfahrrad (sofern man in der Stadt oder am Stadtrand wohnt) und natürlich wird das Fahrrad nur mit Fahrradhelm bestiegen.

Ansonsten liebt der Neo-Spießer die Vielfalt, das heißt einige präferieren zwar den typischen Schlabberlook, andere hingegen gehören durchaus zu den Anzugträgern. Hemd, Hosenträger und Batschkapp sind eher bei den altdeutschen Spießertypen à la „Heinz Becker“ zu finden. Generell ist der Neo-Spießer weniger durch äußerlich sichtbare Attribute gekennzeichnet, sondern eher durch: seine Haltung!

Die richtige Haltung zu haben, ist dem Neo-Spießer wichtiger als alles andere.

Wie der alte hat auch der moderne Spießer den ausgeprägten Hang, die eigene Lebensweise als Maßstab für alle zu sehen und Abweichungen zu brandmarken.

Unterstützt wird der Neo-Spießer in seinem Aktionismus durch Gesetze der Bundesregierung. So ist das NetzDG wie geschaffen für ihn! Endlich kann er alle abweichenden Meinungen als Hass und Hetze diffamieren und melden.

Einen Unterschied gibt es zum früheren Spießbürger: die Doppelmoral!

Der alte Spießer gehörte sozial zur Schicht der Kleinbürger und hatte zwar ein ordentliches Einkommen, aber war in der Regel nicht besonders wohlhabend. Anders unser Neo-Spießbürger: dessen Generation gehört zu denen, die Nutznießer sind für das von Großeltern oder Eltern aufgebaute Vermögen.

Und so hat unser Neo-Spießbürger kein Problem damit, auf der einen Seite den Kapitalismus als Verursacher des Klimawandels zu geißeln, aber auf der anderen Seite von den Früchten des Kapitalismus zu leben, beispielsweise neben einer sicheren Pension (das wäre der Idealfall) oder Rente auch noch der Nutznießer zu sein von geerbten Immobilien oder Aktien. Auf der einen Seite gibt er sich als Kapitalismuskritiker und verurteilt er die Macht der Black Rocks dieser Welt, gleichzeitig führt er deren Fonds im Depot und hat vielleicht sogar noch Einnahmen über die Vermietung geerbter Immobilien. So großzügig befreit von den Lasten der Existenzsicherung, kann man sich ausgiebig der Weltrettung widmen.

Wenn er könnte, würde sich der Neo-Spießer sogar eine etwas dunklere Hautfarbe zulegen, um sich solidarisch dieser diskriminierten Minderheit anzuschließen. Stattdessen belässt es der Spießer neuer Art dabei, sich ungefragt zum Fürsprecher verschiedener Minderheiten zu machen. Endlich mal wieder Aktivist sein! Haltung ist ja so dermaßen wichtig!

Und mit seiner zur Schau gestellten „richtigen Haltung“ geht der Neo-Spießer nun (wie früher sein Vorgänger) dem Umfeld auf den Keks.

Unsere Position zu diesen Haltungs-Aufpassern und Nachfolge-Blockwarten ist klar: Wir vermissen die Meinungsfreiheit, wir vermissen die Toleranz auch Andersdenkenden gegenüber, wir wollen für die individuelle Freiheit eintreten! Oder wie der Preußenkönig Friedrich II. der Große es formuliert hat: „Jeder soll nach seiner Façon selig werden“ – und zwar ohne Aufpasser, Belehrer und Bevormunder.

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